Mittwoch, 6. Dezember 2006

Kinder oder Karriere

Es gibt in einer meiner Fachzeitschriften ein Werbebild. Es zeigt eine Frau im Nadelstreifenanzug, in der einen Hand einen Laptop, in der anderen Hand eine Tüte mit Lebensmitteln, auf dem Arm einen Sohn, der eigentlich schon viel zu groß ist, um auf den Arm genommen werden. Und darunter steht: "Ab sofort messe ich meinen Blutzucker pünktlich." Welch ein Anspruch? Und dann wirft man dieser Frau womöglich vor, weswegen sie nicht die statistisch Notwendigen 2,1 Kinder ausgetragen hat.
Vieles, was hier im Forum über das Verhältnis von Mann und Frau gesagt wird, stammt ebenfalls nicht aus persönlichem Erleben, es stammt aus Funk, Film, Fernsehen und Presse. Ich arbeite in einem Berufsfeld, in dem überwiegend Frauen in allen Positionen beschäftigt sind und ich erlebe sie als angenehme Mitarbeiterinnen, freundliche Kolleginnen und kompetente Chefs. Alle Frauen, mit denen ich im persönlichen Bereich zu tun habe, sind integre Persönlichkeiten, die ich schätze, und diejenigen, die sich für die "Karriere" entschieden haben, würde ich bedenkenlos als Vorgesetzte akzeptieren. Die Spannung in der Geschlechterbeziehung ist gemacht. Viele Widerstände, denen sich Mann und Frau gegenüber sehen, wenn sie versuchen ausgetretene Pfade zu verlassen, beruhen nicht auf bösem Willen (das Patriarchat) sondern auf Beharrungsvermögen und Bequemlichkeit, manchmal auch auf Opportunismus, z.B. das Beibehalten der Wehrpflicht. Als die lohnabhängig Tätigen begannen, sich zu organisieren, um Teilhabe an den Gütern zu verlangen, welche letztlich durch ihrer Hände Arbeit geschaffen wurden, da mussten sie sich einen Namen geben (das Proletariat), eine Fahne, um welche sie sich scharen konnten (die Rote) und eine Heilslehre (Kommunismus, Sozialismus) und einen Feind (die Bourgeoisie). Nur so konnte aus hilflosen, schwachen Individuen eine mächtige Bewegung werden.
Als die Frauen aufbrachen, in der westlichen Welt ihren Anteil an den Gütern und den Gestaltungsmöglichkeiten einzufordern, da mussten Sie sich zwar keinen Namen geben, denn es war allgemein bekannt, dass es Frauen gibt. Aber auch sie benötigten eine Fahne (Lila), eine Heilslehre (Feminismus) und einen Feind (das Patriarchat). Die Bewegung der Lohnabhängigen hat viel erreicht und aus dem verachteten Tagelöhner, den allseits geschätzten Arbeitnehmer gemacht, auch wenn hier in letzter Zeit Erosionen festzustellen sind. Auch die Bewegung der Frauen hat viel erreicht. Noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten Männer und Frauen so frei und ungezwungen zusammenleben. Das Durchbrechen der starren Rollen hat Frauen und Männer befreit.
Aber so, wie es dem Kommunismus nicht gelungen ist, den Menschen zu einem Wesen umzuformen, dem Eigentum nichts bedeutet, so wird der Feminismus in seinem Bestreben scheitern, die Geschlechtsunterschiede zum Verschwinden zu bringen. Was bleibt, ist die Daueraufgabe, Eigennutz und Gemeinwohl, aber auch die verschiedenen Interessen der Geschlechter immer wieder neu auszutarieren, in den Intimpartnerschaften und in der Gesellschaft als Ganzes.

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