Donnerstag, 18. Januar 2007

Erziehung
Familie & Kinder | Erziehung
Erziehung | 17.01.07 | 20:25 Uhr


Es ist nicht leicht, ein Junge zu sein

von Gekka | Xanten | 165 mal gelesen
Ich wusste es:

Mädchen sind rosa, Jungen sind blau.

Arme Jungs!
Vor einiger Zeit gab es mal eine Erzieherin, die davon überzeugt war, dass man Mädchen und Jungen gleich erziehen und fördern könnte. Dass es 'typische Jungen' und 'typische Mädchen' nicht gibt. Dass alles, oder aber fast anerzogen sei.

Mädchen sind rosa, Jungen sind blau. Mädchen sind lieb, Jungen sind frech. Mädchen sind still, Jungen laut, Mädchen spielen mit Puppen, Jungs mit Autos, Mädchen können nähen, Jungen sind handwerklich begabt. Alles papperlapp, dachte sie und wollte es anders machen. Im Kindergarten merkte sie recht schnell, dass es da doch zusätzlich zu dem 'kleinen' Unterschied einen weiteren gab. Ließ man den Kindern freie Spielzeugwahl, entschieden sich die Jungen meistens für die Bau - die Mädchen für die Puppenecke.
Jungen tobten auf dem Spielplatz mehr herum, die Mädchen standen zusammen und tauschten Diddle-Blätter. Die Mädchen wiederum kletterten nur zögernd aufs Klettergerüst, die Jungen gingen forsch bis in die Spitze.

Die Mädchen bastelten lieber, malten gerne und konnten sich besser beschäftigen als die gleichaltrigen Jungs. Mädchen zogen bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten bereitwillig eine Schürze um, die Jungen wehrten sich.
Die Mädchen litten unter dem Aggressionspotential der Jungen.

Jungen spielen Fußball, Mädchen gehen zum Ballett.


Alles Klischees, wird der Leser jetzt denken.
Ja - viele Klischees - sage ich.

Aber – etwas Wahres ist dran.
Ich hab es selber ja nicht glauben wollen. Abgesehen von meinen Erfahrungen im Kindergarten, bin ich Mutter zweier Söhne. Die sind laut, auch mal aggressiv, in Mathematik gut und spielen Fußball.
Richtige Jungen?
Ich kaufte ihnen, als sie klein waren, natürlich eine Puppe. Sie ließen sie links liegen und spielten doch lieber mit der Eisenbahn. Ich legte ihnen ein Springseil hin – sie suchten sich einen Ball und ballerten ihn mit aller Wucht gegen die Fensterscheibe, während die Tochter der Nachbarin gedankenversunken ihrer Barbie-Puppe das lange blonde Haar kämmte. Ich verbot ihnen Waffen als Spielzeug, sie bauten sich aus Ästen oder aus Legosteinen eine Pistole und spielten Krieg.
Beim Kinderturnen sah ich mich den vorwurfsvollen, strafenden Blicken der Mütter ausgesetzt, die 'brave' Töchter ihr eigen nannten. Mädchen können sich nämlich leichter in eine Reihe stellen und warten, bis sie an der Reihe sind, als Jungen. Meine Kinder rannten im Doppelpack durch die Turnhalle und lärmten herum.

Wer jetzt anmerkt, alles eine Erziehungssache, der hat mit Sicherheit nicht ganz unrecht, wer wüsste das besser als ich, aber – ich stelle hier mal die Behauptung auf: Jungen sind eben anders.
Wilder. Lauter.
Mit Sicherheit nicht alle. Aber viele.

Jungen schreien nämlich nach Aufmerksamkeit. "Hey, seht her, hier kommen wir. Kümmert euch um uns!"
Wenn man bedenkt, dass die Jungen gerade im Kindergarten und in der Grundschule auch von vorwiegend weiblichen Fachkräften betreut werden, wundert einen das fast nicht.
Die Väter sind ja meistens - ja, ich weiß, auch wieder ein Klischee - arbeiten. Die Mutter erzieht größtenteils die Kinder und falls sie berufstätig sein sollte, begegnet dem Jungen in der Krippe oder im Kindergarten – genau - die Erzieherin. Schon wieder ein weibliches Wesen, das ihn nicht versteht.
Das ihn womöglich unterschätzt, verkennt oder anders fördern möchte, als es ihm gut tut.

Und mit Eintritt in die Grundschule wird das Problem noch größer. Jungen sind oft ein Jahr hinter den Mädchen in der Entwicklung zurück. Sie haben einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Jungen sind schlichtweg mit dem Schulalltag überfordert, kommen damit nicht klar und fangen an zu stören.

Jungen brauchen etwas Zeit.

Das findet auch Frank Beuster. In seinem Buch 'Die Jungenkatastrophe – das überforderte Geschlecht' beschreibt er, was Jungen brauchen. Gerade das Schulsystem sei ungerecht zu Jungen und er empfiehlt, mehr Rücksicht auf sie zu nehmen. Der Hamburger Pädagoge ist Hochschullehrer und selber Vater zweier Söhne und behauptet, dass zunehmend Jungen und junge Männer an verschiedenerlei Defiziten leiden und in vielen Gesellschaftsbereichen stark verunsichert sind. Jahrzehntelang wurde angenommen, dass Mädchen schulisch benachteiligt würden, dabei zeigen aber mittlerweile die Jungen größere Leistungsdefizite.

Instinktiv habe ich das ja schon immer gewusst. All die vielen Gespräche mit den Grundschullehrerinnen hätte ich anders führen können, wenn ich dieses Buch gelesen hätte. Man sollte übrigens nie den Tag vor dem Elternabend loben - ist nicht von mir, aber es trifft zu.
Beusters Plädoyer richtet sich an Männer und Frauen, die sich für Jungen stark machen. Er zeigt auf, was gerade Jungen brauchen. Sie brauchen viel Lob, viel Verständnis, klare Grenzen, vor allen Dingen aber Väter, die sich um sie kümmern und Mütter, die sie in ihrer Andersartigkeit akzeptieren.

Und unsere Jungen brauchen mehr reife - die Betonung liegt auf 'reife' - und starke männliche Persönlichkeiten in ihrem Leben. Beuster empfiehlt deshalb auch, gerade in Kindergarten und Grundschulen mehr männliches Personal einzusetzen.

Jungen sind eben anders.
Mädchen aber auch.

Und beide benötigen eine liebevolle Erziehung, die nach ihren jeweiligen Bedürfnissen ausgerichtet sein sollte.

Und um auf die Klischees zurückzukommen: Natürlich beeinhaltet diese Erziehung auch das Puppenspielzeug für den Jungen und den Fußball für die Mädchen. Und dass die Männer Erziehungsurlaub nehmen können und die Frauen berufstätig bleiben.

Keine Frage!

Frank Beuster hat sein Buch seinen wunderbaren Söhnen gewidmet. Er freut sich auf das Leben mit ihnen, schreibt er.

Und ich mich auch auf das mit meinen Söhnen!



Buchtipp: Frank Beuster
Die Jungenkatastrophe – Das überforderte Geschlecht
im Rowohlt-Verlag erschienen

8,90 Euro

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