Sonntag, 29. April 2007

FAZ Freitag 27. April 2007, Nr. 98 / Seite 15


135 000 Mädchen erkunden die Berufswelt
Personalverantwortliche warnen vor einer Benachteiligung der Jungen


hap. FRANKFURT, 26. April. Am Donnerstag haben nach ersten Schätzungen rund 135 000 Mädchen in Unternehmen, Hochschulen und Forschungszentren hinein geschnuppert. Am Girls' Day öffneten rund 8000 Betriebe ihre Türen für Schülerinnen der Klassen 5 bis 10, damit diese einen Einblick in die Praxis verschiedener Bereiche der Arbeitswelt - vor allem in die technischer und naturwissenschaftlicher Berufe - gewinnen und Kontakte herstellen konnten.


„Die junge Frauengeneration in Deutschland verfügt über eine besonders gute Schulbildung. Dennoch entscheiden sich Mädchen noch immer überproportional häufig für typisch weibliche Berufsfelder oder Studienfächer. Damit schöpfen sie ihre Berufsmöglichkeiten nicht voll aus; den Betrieben aber fehlt gerade in technischen und techniknahen Bereichen zunehmend qualifizierter Nachwuchs", begründen die den „Mädchen-Zukunftstag" fördernden Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die Notwendigkeit der Veranstaltung.


„Das große Interesse zeigt, dass sich der Girls' Day zu einem unverzichtbaren Baustein im Berufsfindungsprozess von Mädchen entwickelt hat", stellt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt fest.


Einen Boys' Day aber gibt es in dieser Form, obgleich die Schulen natürlich per Praktika auch Jungs in Betriebe schicken, nicht. Das treibt einige Personalverantwortliche in Unternehmen um, die eine solche Aktion grundsätzlich gut finden, aber eine Benachteiligung der Jungen wittern.

Auch diesen steht offiziell der Girls' Day offen, sie nutzen ihn in der Regel aber nicht, weil sie sich sagen: „Ich bin doch kein Mädchen" , wie ein Personalchef berichtet. Dabei brauchten im Zweifel eher Jungen in der Altersklasse von 16 bis 19 Jahren Starthilfe in das Berufsleben. „Bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz sind Mädchen in der Regel klarer strukturiert, treten ordentlicher auf, sind sprachlich besser. Das liegt nicht daran, dass Jungs dümmer wären. Aber sie präsentieren sich schlechter, gehen relativ unbedarft in Bewerbungsgespräche, haben eher Fußball als eine Lehre im Kopf", sagt der Personalverantwortliche eines mittelständischen Betriebes in Frankfurt. Er habe den Eindruck, die stets wiederholte Botschaft, Mädchen würden benachteiligt, strahle inzwischen bis in die Schulen ab und kehre sich dort ins Gegenteil. Mädchen würden von der Schule bis zur ersten Anstellung langsam, aber sicher bevorzugt. „Für anspruchsvolle kaufmännische Berufe haben die Mädchen inzwischen sogar klar bessere Start Voraussetzungen. Die Jungen geraten ins Hintertreffen."

Dieses Gefühl teilt auch Ulf Mindermann, Leiter der Personalentwicklung des Oldenburger Energiedienstleisters RWE, der sich am Girls' Day beteiligt hat. „Ich würde in der Heranführung an das Berufsleben nicht zwischen Jungen und Mädchen differenzieren", sagt Mindermann. Seine Erfahrungen aus Branchen wie Bank, Dienstleistung, Logistik und Energie zeigten, dass Differenzierungen zwischen Jungen und Mädchen nicht mehr gerechtfertigt seien.

Das sehen die Berliner Verantwortlichen offenbar (noch) anders, und gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstößt der Girls' Day ihrer Meinung nach auch nicht: „In Umsetzung entsprechender Vorgaben der EU-Gleichbeh andlungsrichtlinien bestimmt Paragraph 5 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dass eine unterschiedliche Behandlung von bestimmten Personen und Personengruppen zulässig ist, wenn durch die Maßnahme bestehende Nachteile tatsächlicher oder struktureller Art für die besonders geschützten Personen ausgeglichen werden sollen. Danach sind Fördermaßnahmen für Mädchen und Frauen in den Bereichen zulässig, in denen sie tatsächlich oder strukturell benachteiligt sind. Mädchen sind in Teilbereichen der Berufsausbildung strukturell benachteiligt. Maßnahmen wie der Girls' Day sind verhältnismäßig und geeignet, diesen strukturellen Benachteiligungen entgegenzuwirken", teilt die Antidiskriminierungsstelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit.


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