Mittwoch, 15. August 2007

Ein Zeugnis

An anderer Stelle habe ich schon mal zitiert, eine Nation sei ein tägliches Plebiszit. Das gilt auch für die Ehe bzw. für jede feste Partnerschaft, sie ist eine tägliche Entscheidung für den anderen, die auch täglich neu wiederholt werden muss.
Der folgende Text bringt dies zum Ausdruck, weswegen ich ihn gepostet habe.

Besonders gut gefallen mir die Sätze zur geschlechtlichen Liebe, die nichts weniger als der Kern der Beziehung ist, in welcher Mann und Frau einander und sich selbst in ihrer Besonderheit sehr nahe sind. Ein schöner Beweis dafür, dass das Christentum eben nicht leibfeindlich ist.

Tag für Tag erwähle ich dich
Zeugnis eines Ehepaares
Pred 4, 9-12


Marie-Thérèse und Regis M., ein französisches Ehepaar, das anonym bleiben möchte, lernten sich beim Studium kennen. Nach dreijähriger Freundschaft entschlossen sie sich zur Heirat. Dabei wurden sie nicht von ihrer Liebe übermannt. Sie fühlten sich vielmehr erwachsen und waren bereit, für den andern Verantwortung zu übernehmen. Klipp und klar planten sie, gemeinsam durchs Leben zu gehen, ohne sich deshalb zu verstümmeln oder das aufzugeben, was für jeden von ihnen wesentlich war. Nach achtjähriger Ehe überdachten sie ihren gemeinsamen Weg und versuchten, ihr Leben als Paar zu schildern. Dabei ließen sie das Verhältnis zu ihren Kindern bewußt unberücksichtigt, da dieses Thema weitere Ausführungen erforderlich gemacht hätte.

Als Marie-Thérèse und Regis heirateten, glaubten sie, nur noch ein Leben zu leben. Mit den Jahren mußten sie aber erkennen, daß die Vorstellung, in der Ehe zu einer einzigen Seele zu verschmelzen, ein Wunschtraum ist, welcher in keiner Weise der Wirklichkeit entspricht. Nach und nach entdeckten sie, daß eine solche Einheit letzten Endes nichts anderes bedeuten würde, als die Persönlichkeit des anderen aufzusaugen, was die Verhärtung und Inaktivität beider zur Folge hätte. Auch die Meinung, Mann und Frau hätten in der Ehe die sich ewig gleichbleibenden Rollen zu übernehmen, die ihnen von der Tradition zugewiesen sind, erwies sich bald als Illusion. Da Marie-Thérèse als Lehrerin tätig war, änderte sich automatisch auch die Rolle, die ihr Mann, Mitglied einer Forschergruppe, zu spielen hatte, und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. So waren sie bemüht, sich Tag für Tag neu in ihre Rollen einzuleben und die Persönlichkeit und den Rhythmus des andern zu respektieren.

"Wir leben nicht im gleichen Rhythmus. Es ist wichtig, dies zu wissen."

Ihre Einheit fanden sie immer mehr in ihren Zwiegesprächen. Versuchte einer von ihnen, sich im ehelichen Alltag hinter einer Fassade zu verkriechen und sein inneres Gerümpel verschlossen zu halten, so wurde ihm ein echtes Zuhören unmöglich. Das Zwiegespräch war dann nur noch eine Parodie, weil man nur noch ein Komplice, aber nicht mehr der wahre Freund war. Aus solchem Komödienspiel erwuchsen viele ihrer Schwierigkeiten. Aufgrund ihrer Liebe fühlten sie sich getrieben, ein echtes Leben solchem Komödienspiel vorzuziehen. Indem einer sich in seinem Verhalten vom andern in Frage stellen ließ, wirkte ihr Leben als Paar erzieherisch. "Du offenbarst mich mir selbst." Daher erschien ihnen der Gedankenaustausch als Haupterfordernis ihres Lebens als Paar. Ihre Unterhaltungen waren seine Höhepunkte : "Du sprichst mir von dir, du vertraust mir deine Sorgen an. Du schöpfst deinen Trost aus mir. Vor allem aber offenbarst du dich mir in deiner Tiefe." Das Zwiegespräch war für sie kein Rededuell, sondern eher ein Stammeln. "Ich muß wahrhaft entdecken, was ich bin, um es dir mitzuteilen." Das Zwiegespräch war Befreiung.

Als den größten Verrat beim Leben als Paar erkannten sie den Versuch, den anderen zum Objekt zu erniedrigen, ihm die freie Existenz zu verweigern. "Unser Leben als Paar erhöht unser Sein: Du machst mich zum Mann; du machst mich zur Frau." Dadurch lernten sie, jeden anderen Mann und jede andere Frau wirklich zu lieben. Durch ihre eheliche Liebe erhellten sich alle ihre menschlichen Beziehungen; sie wurden in eine universelle Liebe eingeordnet. Auf diese Weise wurde ihnen der Gedanke, aus einer anderen Frau oder einem anderen Mann einen Gegenstand persönlicher Befriedigung zu machen, unerträglich. Die Bestätigung ihrer Seinstiefe fand das Paar im radikalen Unterschied ihrer andersartigen Geschlechtlichkeit: "Du bist Mann. Du bist Frau. Dieser Unterschied ist unreduzierbar, und eben deshalb ist er der reichste, der schöpferischste, der faszinierendste Unterschied. Du bist anders, ganz anders. Deine geschlechtsbedingte Erfahrung ist gewissermaßen unmittelbar. Ich kann dich nicht assimilieren, zu meinem Ich machen." Deshalb wurde der Geschlechtsakt von diesem Ehepaar in ganz besonderer Weise als ein Augenblick der Wahrheit erlebt. Weil er der Augenblick ist, da Liebe von keiner Seite geheuchelt werden kann, war die geschlechtliche Hingabe die ernsthafteste Schwierigkeit ihres Paarlebens; er war der "Prüfstein" der Echtheit ihres Lebens als Paar. Außer Zweifel stand für sie, daß dieser priviligierte Augenblick, dessen Schwierigkeit sie erlebten, ihnen die Absolutheit Gottes offenbarte. Das Durchscheinen ihres Seins als Mann und Frau wurde ihnen hier zum Durchscheinen Gottes: "Weil in dir das Sein am augenscheinlichsten ist, ist die Begegnung mit dir der Ort meiner tiefsten und sichersten Begegnung mit Gott." Zugleich erfuhren sie in der Unmöglichkeit vollkommener Vereinigung die Unmöglichkeit, Gott zu erfassen. Vor allem in diesem Augenblick wurde ihnen bewußt, daß der Egoismus ihrer Beziehungen das greifbarste Zeichen ihrer Sünde war.

Obwohl ihr Glaube an Jesus Christus der gleiche war, lebte jeder von ihnen mit dem Herrn das Geheimnis einer persönlichen Beziehung und machte so eine einzigartige, schwer mitteilbare Erfahrung. Daher sah ihrer Meinung nach ihr gemeinsames Gebet "ganz schlecht" aus, wenn sie ihr Gebet in Worte zu kleiden bemüht waren. Es kam vor, daß sie, entschlossen, gemeinsam zu beten, jedoch von den Schwierigkeiten gelähmt, ohne Worte blieben, "in den Geburtswehen liegend ...". In glücklichen Augenblicken konnte ihr Gebet leidenschaftlich und unversiegbar sein. Aber es kam auch vor, daß sie mitunter wochenlang nicht miteinander beteten: "Unser Leben zu zweit hat seine Lebensrhythmen, und wir stellen fest, daß unser gemeinsames Gebet diesen Rhythmen folgt." Und doch, oft beteten sie täglich mit dem gleichen Blick, mit dem gleichen Lächeln, mit der gleichen Gebärde, mit der gleichen Liebe.

Vgl. Marie-Thérèse und Regis M., Tag für Tag erwähle ich dich, Das Zeugnis eines Paares über seine Eheerfahrungen, in: Die Ehe, Herder-Bücherei, Nr. 348, Freiburg-Basel-Wien 1969, S. 73- 83.

Vielleicht kommt es öfters vor, als wir glauben, daß Eheleute sich die Zeit nehmen, um gemeinsam über die Erfahrungen ihres ehelichen Alltagslebens nachzudenken. Die Wiederkehr des Hochzeitstages, die Feier der Silbernen oder Goldenen Hochzeit drängen ja förmlich dazu. Andererseits kann eine verfahrene Ehesituation es notwendig machen, den gemeinsam zurückgelegten Weg noch einmal zu überdenken, um einen Ausweg aus der Verworrenheit zu finden. Etwas Außergewöhnliches ist es aber, wenn ein Ehepaar nicht aufgrund eines besonderen Datums oder einer verfahrenen Situation den Versuch unternimmt, ihr Leben als Paar zu schildern und dies der Öffentlichkeit als Zeugnis vorzulegen. So etwas ist immer ein Wagnis, vor allem wenn es in aller Offenheit geschieht. Denn gerade die Ehe hat ihren Intimbereich, den man in der Regel hermetisch von der Außenwelt abzuschirmen sucht. Warum eigentlich? Dafür gibt es mancherlei Gründe.

In jeder Ehe gibt es Schwierigkeiten. Sie gehören einfach zur Ehe dazu, wenn man die Ehe als einen gemeinsamen Entwicklungs- und Reifungsprozeß versteht. Für einen Außenstehenden kann aber sehr schnell als Endstation erscheinen, was in Wirklichkeit nur Durchgangsphase ist. Außerdem ist die Ehe der Ort, an dem man sich so mitteilen und geben kann, wie man wirklich ist. Dies ist nur möglich, weil man einander vertraut. Im Vertrauen weiß sich der eine beim andern gut aufgehoben. Er braucht nicht zu befürchten, daß man ihn schonungslos auseinandernimmt. Nur der Vertraute hat die Fähigkeit, die innere Einheit im andern auch dann noch zu sehen, wenn manches aus ihr herausfällt. Solange diese innere Einheit gesehen wird, lebt die Liebe fort. Sie vermag das einzelne in das Ganze einzuordnen und ihm seinen angemessenen Stellenwert zu geben. Echte Liebe relativiert also ungute Einzelheiten, während eine lieblose Umwelt schnell bei der Hand ist, sie absolut zu setzen und sich so ihr "Bild" zu machen. Schließlich gehört es zum Wesen der Ehe als solcher, ihr Geheimnis zu umzäunen. Eheleute leben nicht zuletzt von jenem Wissen, das ihnen allein gehört.

Um so mehr drängt sich die Frage auf, warum das Ehepaar Marie-Thérèse und Regis mit seinen persönlichen Eheerfahrungen an die Öffentlichkeit getreten ist. Zunächst ist zu beachten, daß es den Wunsch hatte, anonym zu bleiben. So lenkt es von sich selbst ab und konzentriert unseren Blick auf Erfahrungswerte, die ihm im Bemühen um ein echtes Eheleben zugewachsen sind. Es geht hier also nicht um eine oberflächliche Illustriertengeschichte. Der tiefe Ernst zwingt den Leser, falls er selbst verheiratet ist, sein eigenes Eheleben zu überprüfen. Er wird erkennen, was eheliches Leben bedeuten kann, welche Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung in ihm liegen und wie weit er vielleicht mit seiner eigenen Ehe hinter der Verwirklichung dieser Möglichkeit zurückgeblieben ist. Sie sollen im folgenden noch einmal erwogen und durch das eine oder andere ergänzt werden. Zu Beginn ihrer Ehe träumten Marie-Thérèse und Regis davon, nur noch ein Leben zu leben, zu einer Seele zu verschmelzen. Doch erkannten sie bald, daß dies nicht ohne Schaden für beide möglich ist. In einer der "Drei Geschichten aus dem Leben Knulps" von Hermann Hesse findet sich ein Wort, das uns an dieser Stelle erwähnenswert erscheint: "Ein jeder Mensch hat seine Seele", sagte Knulp, "die kann er mit keiner anderen vermischen. Zwei Menschen können zueinander gehen, sie können miteinander reden und nah beieinander sein. Aber ihre Seelen sind wie Blumen, jede an ihrem Ort angewurzelt, und keine kann zu der anderen kommen, sonst müßte sie ihre Wurzel verlassen, und das kann sie eben nicht." 60 Seelen lassen sich also nicht miteinander vermischen oder verschmelzen. Wenn Mann und Frau gewöhnlich in der "Wir" Form sprechen, läuft vielfach einer von ihnen Gefahr, vom anderen unterdrückt oder aufgesaugt zu werden, was in irgendeiner Weise zur seelischen Erkrankung führen muß. Wer immer in einem anderen aufzugehen sucht, ist anfällig für Depressionen. Das zeigt, daß es auch in der Ehe für jeden der beiden Partner gewisse eigene Bereiche geben muß. Das Paar ist ja gerade die Begegnung zweier Persönlichkeiten. "Begegne ich dir, so begegne ich deiner Freiheit ... Unsere Ehe ist keine Kette. Weil du freiwillig für mich da bist, ist dein Vorname das allerschönste Liebeswort, das ich an dich richten kann" (76).

Die eigenen Lebensbereiche dürfen allerdings nicht vom gemeinsamen Leben in der Ehe ausgeschlossen werden. Die Ehepartner müssen vielmehr versuchen, sie aufeinander abzustimmen und den andern mit dem eigenen Bereich in Kontakt zu bringen: "All unser Tun kommt dem Paar zustatten: 'Gern höre ich dich von deinen Schülern, von deinen pädagogischen Forschungen, von deinem Arbeitskreis sprechen. Ich kenne deine Kollegen namentlich' - 'Ich besuche dich im Laboratorium ... Ich entdecke dich in deiner Beziehung zu den andern. Ich versuche nicht, dich auf das zu reduzieren, was du zu Hause bist.' - 'Deine Arbeit, grundverschieden von der meinen, ist für mich ein Quell der Erschließung für das Universelle ... Selbst unsere nächsten Freunde können mir nicht so wie du Zugang zu der Wirklichkeit einer anderen Welt verschaffen'" (76). Diese Zeugnisse verdeutlichen, wie eigene Lebensbereiche eine intensivere Gemeinsamkeit und Kommunikation bedeuten können:
"Unsere Zweisamkeit ist der Ort unserer höchsten Entfaltung. Sie ist das neue Sein, das uns in Freiheit eint ... Wir sind uns voll und ganz unserer Verantwortung bewußt. Kühn haben wir eine gewisse Unsicherheit erwählt, und wir beide wollen eine Liebe, die ständig wieder in Frage gestellt wird. Tag für Tag erwähle ich dich" (82f.).

Eine der vielen Gefahren, durch welche die persönliche Freiheit in der Ehe bedroht werden kann, sahen die beiden in einer erstarrten Verteilung der Rollen von Mann und Frau. Für sie gab es hier kein unumstößliches Gesetz. Ehe bedeutete für sie keine Fertigkeit, "in dem von vornherein alle Funktionen klar verteilt sind", sondern der Versuch, "gemeinsam einen Weg zu finden, auf dem sich ihre Verschiedenheiten am besten ergänzen" (Bernhard Liss). So gab es für Regis keinen Grund, sich von seiner Frau billig verwöhnen zu lassen, und Marie-Thérèse lehnte es ab, ihrem Mann eine fürsorgliche Mutter zu sein. Für sie war er groß genug, um seine Schuhe selbst zu putzen oder eventuell einen Knopf anzunähen. Doch zermarterten sie sich nicht um der Vollkommenheit in der Zweisamkeit willen. Sie lernten, über eine gespannte Situation hinwegzusehen. Dadurch schützten sie sich vor den kleinen Dramen des häuslichen Alltags und verhinderten, daß man sich in parallel laufende Leben verschloß, was das Scheitern ihres Lebens als Paar bedeutet hätte. Ihr Trachten ging auf das Wesentliche. Sie hielten sich bewußt: "Ein Paar bilden ist ein Werk ohne Ende" (82). Haupterfordernis, Höhepunkt und Befreiung waren für sie die vielen Zwiegespräche. "Nicht das ständige Hintereinanderhersein zählt, sondern, daß jeder dort, wo man ist, die Verantwortung übernimmt und daß dies ein Quell zum Gedankenaustausch wird". Die Bücher, die sie beide lasen, die Kunstwerke, die sie gemeinsam bewunderten, die Begegnungen und Tagesereignisse, all das waren Gelegenheiten, die sie benutzten, um ins Zwiegespräch zu kommen und sich kennenzulernen. Gemeinsam unterrichteten sie sich über die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Probleme. Dabei gewannen sie Zeit und Tiefe. So erhielt beispielsweise das Geschirrspülen den Nimbus einer gesammelten oder heiteren Atmosphäre, je nach dem Thema ihres Gedankenaustausches. Darüber hinaus bot ihnen das gemeinsame Gespräch die Möglichkeit, einander die innersten Erfahrungen des eigenen Ich anzuvertrauen. Vor allem aus solchen Gesprächen erwuchs der eigentliche Intimbereich ihrer Ehe.

Es dürfte inzwischen klar geworden sein, wie sehr es den beiden widerstrebte, den anderen als Objekt zu benutzen. Worte wie "Hafen der Ehe" oder "Dich habe ich" deuten bereits darauf hin, wie oft dies geschehen kann. Sagt einer: "Sieh doch, wie er - oder sie - an mir hängt!", so macht er sich selbst zum Objekt des anderen. Nicht selten aber versuchen Ehepartner, eine ganze Menge von Empfindungen, die sie aus der Erfahrung ihrer ehelichen Verbindung schöpfen, unbewußt auf eine andere Frau, die einem sympathisch ist, oder auf einen anderen Mann, der einem gefällt, zu übertragen. Auch dann wird ein Mensch zum Objekt gemacht. Darum wußten Marie-Thérèse und Regis, weil ihre eheliche Liebe sie sensibilisiert hatte und alle ihre menschlichen Beziehungen erhellte. "Meinen besten Freund finde ich daheim" (74). Von diesem Bewußtsein her vermochten sie jeden anderen Mann und jede andere Frau wirklich zu lieben, ohne dem Partner in irgendeiner Weise untreu zu werden. Der andere Mann oder die andere Frau war kein Gegenstand persönlicher Befriedigung mehr; er war in eine universelle Liebe eingeordnet.

"Prüfstein" für die Echtheit ihres Lebens als Paar war der Augenblick ihrer geschlechtlichen Hingabe. Deutlich spürten sie, daß dieser Akt am stärksten das Sein von Mann und Frau offenbart. In ihm ereignet sich jenes "Erkennen", von dem in der Bibel die Rede ist. Daher ist er ganz besonders ein Augenblick der Wahrheit, ein Augenblick der Durchsichtigkeit oder der Un- durchsichtigkeit, des Verstehens oder aber der Ablehnung und des Egoismus. Als ständige Gefahr erkannten sie die Verflachung ihrer geschlechtlichen Beziehungen, die dann bedeutungslose, egoistische Gewohnheiten wurden. Da sie diese Verflachung als unerträgliche Mittelmäßigkeit nicht hinnahmen, wurden ihre geschlechtlichen Beziehungen immer bedeutsamer für ihr tiefes Leben als Paar. Weil sie von der Suche nach sich selbst zum Ausdruck ihres Wesens durchgestoßen waren, schöpften sie aus ihrer geschlechtlichen Begegnung größere Frische als zu Beginn ihrer Ehe. Waren ihre Leiber einander zuerst fremd, so wurden sie mehr und mehr ausdrucksvolle Zeichen ihres Seins als Mann und Frau. Deshalb erfuhren sie gerade in diesen Augenblicken die Nähe und Absolutheit Gottes: "Unsere Liebe, die uns die tiefste Tiefe unseres Wesens offenbart, läßt uns 'das Unsichtbare' sehen. Wie uns unsere Liebe ergreift, so ergreift uns auch Gott ... Die Transparenz unseres beiderseitigen Seins wird hier zum Durchscheinen Gottes. Die unmögliche vollkommene Vereinigung entspricht gewissermaßen dem unmöglichen Erfassen Gottes. Er bleibt unsichtbar" (80).

Marie-Thérèse und Regis M. waren ein gläubiges Ehepaar. Als solches war es auch um ein gutes Gebetsleben bemüht. Es trennte sein Gebet nicht vom Gebet in der Familie und dem der Gemeinde, der es angehörte. Es erachtete sein Gebet - oft nur ein unbeholfenes Stammeln als eine in das universelle Gebet der Kirche eingeschaltete Stimme. Neben dem ausdrücklichen Gebet, dessen Schwierigkeiten sie zur Genüge erlebten, versuchten sie, ihren Meinungsaustausch, ihre Beziehungen zu ihren Kindern, ihre gesellschaftlichen Beziehungen Gebet sein zu lassen. "Wir glauben, daß wir als Paar berufen sind, Gott mehr durch die Tat als durch Worte zu verherrlichen. Vielleicht wird uns der Herr eines Tages die Freude schenken, so schlicht und einfach wie Kinder zu ihm beten zu können" (82). Das Zeugnis dieses Ehepaares schließt mit einer Erklärung, die zugleich den tiefsten Grund der Aufzeichnung und Veröffentlichung seiner Eheerfahrungen offenbart: "Gott ist kein Polizist, der uns an jenem Julitag, als wir uns in sein Haus begaben, auf Gedeih und Verderben aneinander gefesselt hat. Wir wollten im Gegenteil bekunden, daß es nur eine einzige Liebe gibt und daß wir, als wir heirateten, in gewisser Hinsicht die Mitverschworenen der Liebe Christi zu den Menschen geworden sind."

Zwei sind besser daran als nur einer;
denn ihnen wird guter Lohn zuteil aus ihrer Mühe.
Kommen sie zu Fall, kann der eine den anderen wieder aufrichten.
Doch wehe dem Einsamen, wenn er fällt
und keiner da ist, ihm aufzuhelfen!
Und liegen zwei beieinander, so wärmt einer den anderen;
einer allein - wie soll er warm werden?
Und wenn jemand den einen angreift,
zu zweien sind sie ihm gewachsen.

Prediger 4, 9-12

Mann und Frau, das unmögliche Paar

Dienstag, 10. April 2007 ab 20.40 Uhr

Mann und Frau, das unmögliche Paar?



Heutzutage werden Menschen immer älter. Das bedeutet für viele auch eine zweite Partnerschaft, vor allem weil gerade ältere Frauen aus dem Beziehungsalltag ausbrechen. Der Themenabend schreibt eine Kulturgeschichte der Zweierbeziehung und fragt nach, ob die Vorstellung von lebenslänglicher Zweisamkeit inzwischen antiquiert ist.

Die Menschen werden heute immer älter und das bei guter Gesundheit. Für viele bedeutet dieses "zweite Leben" auch eine zweite Partnerschaft, adenn zunehmend brechen vor allem ältere Frauen aus dem Beziehungsalltag aus. Der Themenabend wirft die Frage auf, ob Treue überhaupt möglich ist, er fragt nach, was sich hinter Untreue verbirgt, und untersucht, ob die herkömmliche Paarbeziehung den Lebensentwürfen der Gegenwart überhaupt noch gerecht wird. Denn auch das heute gängige Verständnis vom Paar als einem auf Liebe und Treue basierenden Bund zwischen Mann und Frau ist kein seit Ewigkeiten gültiges Gesetz. Vielmehr ist es das Ergebnis einer noch gar nicht sehr alten gesellschaftlichen Entwicklung.

Welche Zukunft hat die Ehe



von ARTE Gastautor Prof. Erwin J. Haeberle

„Die Ehe ist heute in einer Krise“, heißt es oft. Wenn das stimmt, worin besteht dann die Lösung? Oder brauchen wir mehrere Lösungen?

Seit es Menschen gibt, hat es - in der einen oder anderen Form - auch die Ehe gegeben. Aber genau das ist der Punkt: Es gab immer mehrere Formen der Ehe, und auch diese verschiedenen Formen haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt. Lange glaubte man, die moderne „vollkommene Ehe“ habe sich aus primitiven älteren Formen entwickelt: Promiske Horden in grauer Vorzeit hätten nur die Gruppenehe gekannt (jede mit jedem). Aus dieser habe sich dann allmählich die matriarchale Polyandrie entwickelt (eine Frau mit mehreren Männern). Mit dem Aufstieg des Patriarchats sei daraus die Polygynie entstanden (ein Mann mit mehreren Frauen), und aus dieser sei schließlich als Krönung der Kulturentwicklung die Monogamie hervorgegangen (ein Mann, eine Frau).

Doch diese Vorstellung stimmt nicht. Auch in der Vergangenheit hat es immer sowohl die Einehe wie auch die Vielehe gegeben. Schon in der frühesten Menschheitsgeschichte gab es monogame Beziehungen, aber es gab eben auch anderes, und das in einigen Gegenden der Welt für sehr lange Zeit. Dennoch: Die Einehe hat nach und nach überall die anderen Eheformen zurückgedrängt, und das ist kein Zufall. Rein biologisch gesehen halten sich die Geschlechter ja etwa die Waage, d.h. es werden ungefähr immer so viele Mädchen wie Jungen geboren. Wenn es gerecht zugeht, gibt es eben für jede Frau eigentlich nur einen Mann, und für jeden Mann nur eine Frau. Dieses Gleichgewicht wird nur durch gewaltsame Eingriffe gestört, wenn z.B. viele Männer in Kriegen fallen, wenn einige Männer erheblich mehr Macht als andere erringen und diese dann auch sexuell benachteiligen können, wenn massenhaft weibliche Babys getötet oder weibliche Föten abgetrieben werden usw. Solche Gewaltakte sind aber auf Dauer „gegen die Natur“, und so setzte sich im Laufe der Geschichte fast überall eine gewisse sexuelle Gleichberechtigung durch – zunächst unter den Männern, dann aber auch zwischen den Geschlechtern. Ist aber das natürliche Gleichgewicht erst einmal wieder hergestellt, dann bekommt auch die Einehe sozusagen „automatisch“ wieder ihre Chance. Heute spricht vor allem eines für sie: Sie ist die einzige Form der Ehe, in der eine wirkliche Gleichberechtigung der Partner möglich ist.

Lust - Liebe - Ehe
Könnte aber gerade dies nun der Grund für die wachsende Zahl der Ehescheidungen sein? Sind viele Männer immer noch nicht bereit oder fähig, mit einer gleichberechtigten Partnerin zu leben? Für manche klingt das plausibel, aber die wahre Ursache liegt wahrscheinlich tiefer und betrifft Frauen und Männer gleichermaßen: Im Laufe der Moderne haben die Menschen sich angewöhnt, Sex mit Liebe und Liebe mit Ehe gleichzusetzen. Man verdrängt, dass Lust und Liebe oft zwei verschiedene Dinge sind, und dass ein guter Sexualpartner nicht unbedingt auch ein guter Ehepartner ist. Lust darf auflodern und erlöschen; Liebe muss dauern. Vor allem: Eine Ehe muss halten, wenn sie gemeinsamen Kindern gerecht werden soll. Heute wollen aber viele nicht wahrhaben, dass Verliebtheit und sexuelle Anziehung schnell nachlassen können. In früheren Epochen war man da klüger. Man wusste, dass gemeinsame wirtschaftliche Interessen und charakterliche Harmonie auf die Dauer wichtiger sind. Vor allem war allen Beteiligten klar, dass das Wohl der Kinder von der Stabilität der Ehe abhängt, und dass sie vor allem deshalb eine solide Basis braucht. Aus diesem Grunde bestanden die Familien von Braut und Bräutigam auch immer darauf, bei der Eheschließung ein Wort mitzureden. Heute aber werden die Ehen fast immer aus „Liebe“ geschlossen, und die meisten Scheidungen gibt es schon nach wenigen Jahren, wenn die sexuelle Beziehung abgekühlt ist. Dann aber sind die Kinder noch klein und leiden am meisten unter der Trennung.

Das ist aber nicht das einzige Problem: Seit sich die moderne isolierte Kleinfamilie herausgebildet hat, ist auch der Druck auf die Eltern gewachsen. Oft müssen beide arbeiten, um wirtschaftlich zu überleben. So bleibt für die Kinder nicht ausreichend Zeit. Besonders die Frauen werden oft vierfach belastet - als Berufstätige, Hausfrauen, Geliebte und Mütter. Die Großeltern und andere Verwandte wohnen oft weit entfernt und können nicht helfend einspringen. Auch auf die Nachbarn kann man nicht zählen. Die stehen meist selber unter Druck und haben ihre eigenen Probleme. Kurz, es ist für viele objektiv schwerer geworden, ein glückliches Ehe- und Familienleben zu führen.

Dennoch versuchen Frauen und Männer es immer wieder, und viele mit Erfolg. Allerdings tun sie dies nicht immer im vorgegebenen Rahmen. Gleichzeitig sehen wir auch Experimente mit neuen Familienformen – von der „Kommune“ und Wohngemeinschaft bis zur nichtverwandten Großfamilie mit „adoptierten“ Alten, und auch das färbt auf das Wunschbild der Ehe ab. Andererseits wird auch immer deutlicher, dass die Erzeugung und Erziehung von Kindern nicht der einzige Zweck der Ehe ist. Er war es auch nie, denn man hat ja seit jeher Frauen jenseits der Wechseljahre die Heirat erlaubt, ja sie sogar empfohlen. Emotionale und materielle Sicherheit waren also schon immer anerkannte Heiratsgründe.

Neue und alte Lösungen
Für die Komplexität der heutigen Probleme kann es deshalb nicht nur eine einzige Lösung geben. Stattdessen deuten sich verschiedene Auswege aus der jetzigen Krise an. Jeder kennt heute Paare, die offen „ohne Trauschein“ zusammenleben, oft „nur auf Probe“, aber manchmal auch jahrzehntelang. Außerdem gibt es vereinzelt „registrierte Partnerschaften“ für verschiedengeschlechtliche und gleichgeschlechtliche Paare. Und natürlich besteht auch die traditionelle Ehe weiter, oft mit zusätzlichem kirchlichem Segen. Mit dieser Vielfalt haben wir uns wieder den Zuständen im alten Rom angenähert, denn das römische Recht kannte noch verschiedene gültige Eheformen – vom gewohnheitsmäßigen Zusammenleben über eine einfache zeremonielle Heirat bis zur feierlichen Eheschließung mit 10 Zeugen und einem Priester. Je leichter die Ehe zustande kam, umso leichter war sie auch wieder zu scheiden. Insofern waren die alten Römer sehr realistisch.

Diesen wachsenden Realismus finden wir nun im heutigen Europa wieder, und er scheint die besten Chancen für das Überleben der Ehe als Institution zu eröffnen. Oder vielleicht sollte man besser sagen „das Überleben der Ehe in verschiedenen Formen“. Schon Goethe hatte erkannt: „Eines schickt sich nicht für alle“, aber irgendeine rechtliche Absicherung wird von den Paaren schon aus praktischen Gründen immer erwünscht sein, und sie liegt auch im Interesse der Gesellschaft. Nichts kann eine Gesellschaft so stabilisieren wie eine rechtlich anerkannte Paarbeziehung. Die verschiedenen europäischen Länder sind insgesamt nun auf dem Wege, hier die nötige Rechtsvielfalt und damit auch eine abgestufte Rechtssicherheit zu schaffen. Man hat mit den „registrierten Partnerschaften“ schon einen wichtigen Schritt getan, aber am Ende wird man gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche Paare überall gleich behandeln müssen. Auch für die Ersteren wird es die vollgültige Ehe geben, und den Letzteren wird man auch die einfachere „registrierte Partnerschaft“ nicht verwehren wollen. Mit anderen Worten: Um allen gerecht zu werden, werden alle zwischen verschiedenen Eheformen wählen können, und diese Flexibilität wird es erlauben, der Ehe wieder einmal die Zukunft zu sichern.

Dienstag, 14. August 2007

Ökonomie - Wozu denn blos?

Manch einer, der regelmäßig in meinem Blog liest, mag sich fragen, warum ich immer wieder Bezug nehme auf die Ökonomie.
Nun, die Ökonomie ist die Lehre des Umgangs mit knappen Resourcen und abgesehen von ganz wenigen Gütern sind die meisten Resourcen knapp.
Diese Knappheit zwingt zur Entscheidung und die Summe der Entscheidungen führt zum Leben oder zum Sterben. Jedes Lebewesen muss darauf achten, dass zwischen Geben und Nehmen ein ausgewogenes Verhältnis herrscht. Wer nur gibt, wird nicht alt. Wer nur nimmt, verliert Partner, Freunde und Kunden, ist also auch nicht gerade zukunftsfähig.
Jeder wird freiwillig nur Austausch praktizieren, solange Geben und Nehmen ausgewogen sind. Von außen aufgedrückte Kosten beeinflussen den Austausch. So senkt die Mehrwertsteuer den Austausch von Waren und Dienstleistungen gegen Geld, weil sie künstlich zur Verteuerung führt.
Scheidungsgesetze, die Männer benachteiligen, machen die Ehe untinteressanter. Eine Frau, die nur finanzielle Risiken mit sich bringt muss auf der anderen Seite mehr bieten, sonst fällt sie durch den Partnermarkt. Sie muss z.B. schöner und williger sein, oder durch entsprechende Ausbildung und Berufstätigkeit zeigen, dass sie für den Mann keine finanzielle Belastung ist.

Aus Sicht der Männer klug wäre es, Vielmännerei zuzulassen.
Wer diese Lebensform schätzt würde sie wählen, der Männermarkt würde leergefegt und die Wahlmöglichkeit für Männer würden zunehmen.

Darum ist ja Vielweiberei oder patriarchische Gesellschaftsstruktur keineswegs im Sinne der Männer.

Vielweiberei, weil sie zu einer Verknappung des Angebots an Frauen führt und die patriarchische Gesellschaftsstruktur deswegen nicht, weil sie Frauen vom Partnermarkt ausschließt und die Patriarchen an einer Verknappung des Marktes interessiert sind, um von den potentiellen Jungmännern maximale Gegenleistung abzukassieren. Wie beim Butterberg der EU werden große Teile der Güter vom Markt fern- und damit der Preis hochgehalten.

Ökonomie ist die Lehre vom Interessenausgleich durch Tausch.
Ihre Gesetze wirken auch, wenn man nicht daran glaubt, ähnlich wie Naturgesetze.

Und nie vergessen, auch wenn Menschen sie nicht wahrnehmen können, es gibt eine allgemeingültige Wahrheit und sie wird immer wieder offenbar werden.

Vieles ist denkbar, manches ist machbar aber nur weniges ist von Dauer.

Die Grenze

Die Grenze, sie verläuft nicht zwischen Männern und Frauen, nicht zwischen Feministinnen und Maskulisten, zwischen Vätern und Müttern.
Die Grenze verläuft zwischen den guten und den bösen Menschen.
Man sagt, jeder Mensch trage immer gute und böse Anteile in sich, aber das stimmt nur bis zu einem gewissen Grad.
Der gute Mensch leidet unter seiner Bosheit. Der böse Mensch ist so böse, dass er seine eigene Bosheit noch als Tugend wahrnimmt.
Das Wesen des Bösen ist die Lüge. Beobachte, wie leicht es einem Menschen fällt zu lügen. Beobachte ihn bei den kleinen Lügen, beim Umgang mit Untergebenen, sein Auftreten als Kunde.
Und dann ziehe die richtigen Schlüsse.
Es gibt böse Menschen, durch und durch böse Menschen.
Hütet euch vor ihnen.

Into the Prickle Bush


Ein auf Englisch geschriebener Artikel, den zu lesen sich lohnt.
Gefunden habe ich ihn bei "A Woman against Feminism":

http://awomanagainstfeminism.blogspot.com/2007/08/into-prickle-bush-by-michael-leunig.html

Man könnte auch die Geschichten von 1001 Nacht lesen. Sie enthalten die gleiche Botschaft: Der Mensch ist gefährlich.

Montag, 6. August 2007

Nicolas Fargues

Der Überlebende der Ehehölle

Der Roman „Nicht so schlimm" erzählt vom Scheitern der Liebe. Das Schreiben war für den Autor eine Art Therapie, hatte er doch gerade selber eine Trennung zu verarbeiten. Nicolas Fargues im Gespräch über Partnerschaften, Gewalt und das Schattenreich der Ehe.
Nicolas Fargues' Roman "Nicht so schlimm" erzählt vom Zerbrechen der Liebe.
Click here to find out more!
In Frankreich war Nicolas Fargues’ Roman „J’etais derrière toi“ der Überraschungserfolg des vergangenen Jahres. Schnörkellos erzählt der 35-jährige Schriftsteller darin die Geschichte vom Scheitern seiner Ehe. Jetzt ist die deutsche Übersetzung des Buches als „Nicht so schlimm“ erschienen – ein grob verharmlosender Titel angesichts der beschriebenen Ehehölle. Beim Gespräch im Münchner Literaturhaus gab Fargues, der auch schon für Chanel modelte, offen Auskunft über sein Beziehungsverständnis und nahm gelassen den Vorwurf hin, ein Schwächling zu sein.
WELT ONLINE: Herr Fargues, zwischen Ihnen und dem Protagonisten von „Nicht so schlimm“ gibt es einige Parallelen: ein Franzose, Anfang dreißig, mit zwei Kindern, der lange in Afrika gelebt hat. Wie stark ist der autobiografische Anteil?
Nicolas Fargues: Der liegt bei hundert Prozent. Ich habe das Buch vor drei Jahren, direkt nach meiner Trennung, geschrieben, das war wie eine Art Therapie für mich. Inzwischen bin ich geschieden und lebe wieder in Paris.
WELT ONLINE: Ein Kritiker bezeichnete Ihren Roman als „Röntgenbild vom Kampf der Geschlechter“, ein anderer als „symptomatisch für die Generation der Mittdreißiger“.
Fargues: Zunächst einmal ist es eine individuelle Geschichte. Ich habe sehr früh geheiratet und Kinder bekommen. In meiner Generation gründen die Leute eigentlich nicht so früh eine Familie. Vielleicht aber ist die Beziehung, die ich zu Frauen habe, ein wenig repräsentativ für die Mittdreißiger.
WELT ONLINE: Sie entschuldigen, aber der Protagonist wirkt doch sehr schwach. Zum Teil erinnert seine Ehe mehr an ein Mutter-Kind-Verhältnis als an eine Partnerschaft. Dann wieder lässt er sich von ihr zusammenschlagen.
Fargues: Ich bin Anfang der 70er-Jahre geboren. Meine Mutter gehörte zu der ersten Generation, die von der Frauenbewegung profitierte. Mit Frauen verbinde ich vor allem Stärke. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen dem Einfluss, den ein Mann oder eine Frau auf mich ausüben kann.
WELT ONLINE: Dann bedeutet Liebe also Krieg?
Fargues: Generell natürlich nicht, aber in diesem Fall: ja! Bis die beiden Charaktere sich aus der Situation befreien können, gehen sie an die Grenzen des Ertragbaren. Manchmal werde ich ganz wehmütig, wenn ich an die Zeit denke. Nicht, dass ich gern leide, aber wenn man so leidet, lebt man sehr intensiv. Das war eine Achterbahn der Gefühle. Eine große Sache.
WELT ONLINE: Ein weiteres Problem scheint darin zu liegen, dass der Protagonist und seine Frau unterschiedlichen Kulturkreisen entstammen.
Fargues: In erster Linie ist es ein Problem zwischen Mann und Frau, aber der kulturelle Unterschied spielt sicher eine Rolle. Alexandrine ist Afrikanerin, er Franzose. Anfangs hat die Zuneigung alle Differenzen verwischt. Nach zehn Jahren Ehealltag allerdings haben sich verschiedene Vorstellungen von Liebe herauskristallisiert. Alexandrine erwartet von ihrem Mann, ihr gegenüber Härte zu zeigen. Sie sagt ihm: „Du musst mit mir umgehen wie die Fußballmannschaft von Kamerun mit ihren Gegnern.“
WELT ONLINE: Sie zitiert eine afrikanische Redensart: „Die Kameruner haben die gegnerische Mannschaft zu ihren Frauen gemacht“, was bedeutet: Die Kameruner haben gesiegt.
Fargues: Genau. Alexandrine verlangt, dass er sich wie ein Macho verhält, und sie hat den Mut, ihm das so zu sagen. Eine Europäerin würde das nicht so aus tiefstem Herzen formulieren. Ich habe lange in Afrika gelebt, die Art wie Mann und Frau dort miteinander umgehen, ist anders als die hier. Eine Beziehung ähnelt dort mehr einer Art stolzem Kampf. Diese Idealisierung vom Paar-Sein und vom Kinderkriegen ist eher westeuropäisch.
WELT ONLINE: Hat ein Paar mit gemeinsamen Wurzeln bessere Chancen auf Glück?
Fargues: Nein, überhaupt nicht. Gut möglich, dass ich eines Tages wieder eine interkulturelle Beziehung eingehen werde.
WELT ONLINE: Was faszinierte die Leser in Frankreich so an Ihrer Geschichte?
Fargues: Ich habe Hunderte Leserbriefe bekommen, die meisten von Frauen. Der Grundtenor war: „Es ist das erste Mal, dass ich mitbekomme, wie ein Mann aufrichtig seine Gefühle in Worte fasst.“ In anderen Briefen hieß es: „Ich erlebe gerade genau das Gleiche.“ Es ist interessant, dass sich so viele Frauen mit dem Protagonisten identifizieren. Dann gab es auch ein paar Männer, die mir sagten, dass sie sich nie wagen würden, solche Dinge auszusprechen.
WELT ONLINE: Sie dagegen haben mutig Ihr Herz auf den Tisch gelegt.
Fargues: Ich glaube nicht, dass das mutig war, eher narzisstisch. Ich wollte beim Schreiben absolut ehrlich sein und nicht den Helden markieren. Denn letztlich bin ich kein Held, und es ist mir auch vollkommen egal, ob die Leute mich für ein Weichei halten, so ist die Geschichte nun mal gelaufen. Ich habe nicht das Gefühl, stolz sein zu müssen, reden ist wichtiger.
Nicolas Fargues „Nicht so schlimm“, Rowohlt, 16,90 Euro
Männer liegen, Frauen sammeln

Freitag, den 3. August 2007 um 11:31 Uhr von Sibylle Berg

Über Nacht bin ich, von mir unbemerkt, Mitglied der Paargeneration geworden. Mit leiser Melancholie denke ich nun, da mein Leben so perfekt und elegant ist, an die Zeiten jugendlichen Weltschmerzes und der Sehnsucht nach dem Menschen, der alles ändern würde. Schön war es doch, so haltlos unglücklich die Schreie der Schwalben zu verfolgen, in glibberigen, allein zugebrachten Sommernächten. Das ist vorbei. Für immer. Wer in einem gewissen Alter noch Liebeskummer hat, macht sich lächerlich.

Fast alle von mit gekannten Personen haben die träumerischen Ideen von einem perfekten, inhaltlich und äußerlich brillanten Partner zu Gunsten eines real existierenden Beat aufgegeben, und die Alleingebliebenen sind in Reha-Einrichtungen verschwunden. Die Evolution geht also ihren Gang, wenngleich auch der Charakter der Paarbeziehungen ein anderer geworden ist. Früher, als ich noch ein einsamer junger Mensch war, wurde dem Mann noch ein wenig die Illusion des Patriarchen gelassen. Er durfte mehr Geld verdienen, die Frauen gaben es aus, und dem Mann das Gefühl, ein toller Hecht zu sein. Heute sind meist die Frauen die Verdiener, die sich einen Mann leisten, der weniger unterhaltsintensiv ist als ein Kind, und weil allein sein nicht die Lösung ist.

Die Männer in den Beziehungen, die ich beobachte, befinden sich stets in einer Umorientierungsphase, was heißt, sie gehen der naturgegebenen Faulheit nach und haben gemerkt, dass es sehr viel angenehmer ist, die Frauen arbeiten zu lassen. Manchmal erziehen sie das Kind, oft das adoptierte oder artifiziell erzeugte, und die Frauen wären keine, wenn sie nicht ständig ein schlechtes Gewissen hätten darum. Der arme Mann könnte sich ja unwohl fühlen, dominiert, unterdrückt und so wird der arme Tropf mit Aufmerksamkeit bedacht, um die er gar nicht gebeten hat. Die Generation unserer älteren Schwestern begann mit der Unsitte, Männer am gebären teilhaben zu lassen, wo sie in Folge in Ohnmacht fielen, oder in die Impotenz (Ja, ich verstehe Bernd, es war halt ein Schock für ihn, all das Blut), die Ära der GEMEINSAMEN INTERESSEN war das, als man permanent irgendeinen Quality Time Käse mit seinem Partner machen musste. Um die Blocks rennen, Tandem fahren, Rückbildungsgymnastik - nur um die Illusion zu nähren, das Mann und Frau eigentlich aus dem selben Holz geschnitzt waren.

Er will nicht reden. Nicht mit Frauen.

Heute wissen wir es eigentlich besser, aber wir wissen ja auch, dass Autofahren die Umwelt verpestet. Und so wird der Mann überall mit hingezerrt, wo er nichts zu suchen hat. Jetzt hocken sie da. Überall hocken sie, die Partner. Ein Treffen allein mit einer Freundin ist nicht mehr möglich, sie könnte vor schlechtem Gewissen nicht entspannen, und so verspannt sie alle.

Die Frauen sind in Anwesenheit der Männer gekünstelt, als hätten sie ihr Baby dabei, huschen ihre Augen wie kleine Luchse immer wieder zu ihrem Partner. Hat er es warm, isst er, sind die Windeln noch frisch, fühlt er sich kommod? Fühlt er sich nicht. Der arme Mann, der eigentlich zu Hause glücklich wäre, am Computer, in Unterhosen, muss in ungemütlicher Runde unechte Gespräche belauschen. Und womöglich auch noch etwas sagen. Beat meinte auch, dass der neue Tarantino ein Scheiß sei… sagt sie. Und Beat bekommt einen roten Kopf. Er will nicht reden. Nicht mit Frauen. Mit seiner Frau daheim mag das angehen. Die meisten Paare haben sich untereinander auf einen Code geeinigt. Sie reden in Kindersprache, zwicken sich in den Bauch und haben es ganz angenehm. Bringt man das Paar jedoch in einen öffentlichen Raum, funktioniert nichts mehr. Die Frauen reden zu viel, die Männer gar nichts, oder Bullshit, weil ihnen unwohl ist.

Mit einem Freund wäre das etwas anderes. Mit einem Freund könnte er ein Bier trinken und Männerthemen bereden. Sport und Politik, oder gar nichts. Und sie wären froh dabei. Unfroh wären sie hingegen, wenn eine Frau anwesend wäre, die ihre ist.

Die ist aber da, hat ein schlechtes Gewissen, und so geht das Theater weiter. Überall sieht man sie stehen, in den Läden, Männer mit müden Gesichtern, Frauen mit verspannten Mienen. Denn einkaufen geht NICHT mit Männern. Und das ist gut so. Der Mann muss liegen, die Frau sammeln. So will es das Gesetz. Ich hörte von Männern, die mit auf Wellnessfarmen geschleppt wurden, oder in Hugh Grant Filme, und das alles nur, weil uns die Generation der älteren Schwestern erzählt hat, dass man Zeit mit dem Partner verbringen muss, und gemeinsame Interessen der Kitt der Beziehung sind.

Es gibt keine gemeinsamen Interessen von Mann und Frau…

…Auf der Liste dessen, was Paare aneinander bindet, stehen Kinder und gemeinsamer Besitz, stehen Humor und wenig Streit. Gemeinsame Interessen - gar nicht. Sicher kann man ab und an etwas mit seinem Partner machen, was über gemeinsame Nahrungsaufnahme, den Bericht über die tägliche Ausscheidung und die Kinderaufzucht hinausgeht. Aber doch bitte nicht alles! Das Geheimnis einer reizenden erwachsenen Beziehung ist doch, dass jeder sein Leben fortsetzt wie zuvor, das man jemanden hat, neben dem man einschlafen kann, und der bedingungslos zu einem hält. Es ist, einander Familie zu sein, und die schleppt man ja auch nicht überall hin.

Sollten Sie bisher noch nicht verstanden haben, was ich ihnen nahe bringen möchte, noch einmal einfach: Männer mögen keine Tanztheater, sie hassen Läden, die keine elektronischen Artikel oder Musik verkaufen, sie interessieren sich nicht für unsere Freundinnen, geschweige denn auf ganze Abende mit ihnen, sie haben eine Scheu vor Krankheiten aller Art, dazu gehört auch Kinderkriegen, sie schätzen Kunstausstellungen nur bedingt und Filme mit Hugh Grant - gar nicht. Warum wende ich mich so Frauenzeitungen-stereotyp und klischiert nur an Damen? Die Statistik des Elends, und mein ungeheurer Erfahrungsschatz.

Selten werden Männer betteln, dass ihre Partnerin sie zu einem Fußballspiel, in die Bar mit seinen Freunden, oder zu einem richtig netten Abend im Internet begleiten möge. Die Aufzählung männlicher und weiblicher Vorlieben hat nichts Wertendes, denn was den Menschen interessiert, ist von derselben Belanglosigkeit. Es gibt keine Bonuspunkte für gesteigertes Kunstinteresse, das uns nach unserem Ableben aufs A-Deck verbringt. Alles ist gleich unwichtig und niedlich, was Menschen treiben um ihre Zeit herumzubringen. Haben sie ihren Partner lieb und kraulen sie ihn, versorgen sie ihn gut, aber lassen sie ihn um Himmelswillen nicht an all dem Quatsch teilhaben, der ihnen so einfällt.

Wenn Sie, Mann und Frau jetzt empört tun, dass ich doch keine Ahnung hätte, und sehr wohl liebt Beat Gespräche über Kunst und TV Serien und Tanztheater, dann habe ich eine interessante Neuigkeit für sie: Einer von ihnen ist schwul. Na, wer das wohl sein mag?

Mittwoch, 1. August 2007

Nutzen und Kosten der Partnerschaft

3 Nutzen und Kosten der Partnerschaft

Aus Sicht der Ökonomie gehen zwei Partner eine dauerhafte Beziehung ein, wenn für beide der prospektive Netto-Nutzen daraus den Netto-Nutzen fortgesetzten Single-Daseins - mit oder ohne weitere Partnersuchaktivitäten - übersteigt. Ein solcher Netto-Nutzen entsteht, wenn die Erträge aus der Partnerschaft die Kosten übersteigen. Er ist so definiert. (Die nun folgenden theoretischen Überlegungen gehen vor allem zurück auf Becker, den Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 1992. Becker hat die ökonomische Theorie der Familie wiederentdeckt, aufbereitet und populär gemacht. Im Kern finden sich zahlreiche Gedanken in dieser Richtung auch schon bei den Klassikern, allerdings nicht in der Stringenz wie bei Becker (1974, 1981). Aus der Vielzahl von Publikationen zur ökonomischen Theorie zwischenmenschlicher Beziehungen seien genannt Ben-Porath (1982), Hartwig (1993), McKenzie/Tullock (1984, 129ff), Meyer (1987), von Zameck (1990), Zimmermann (1986).)
Was sind nun die Kosten und die Erträge einer Partnerschaft? Zunächst muß man sich von dem Gedanken frei machen, Kosten und Erträge fallen nur dann an, wenn irgendwelche Zahlungen geleistet werden. Unter Kosten wollen wir vielmehr auch verstehen, wenn jemand Zeit opfert, eine Unannehmlichkeit auf sich nimmt oder sich physisch oder psychisch anstrengt. Ebenso wollen wir den Ertragsbegriff sehr allgemein fassen, in dem Sinne, daß wir jede Art der Bedürfnisbefriedigung als Ertrag begreifen. Auch wenn wir eine Ausgabe oder eine Anstrengung sparen, die wir unter anderen Umständen hätten machen oder auf uns nehmen müssen, wollen wir dies als Ertrag auffassen.

3.1 Die Erträge

Die Erträge einer Partnerschaft sind vielfältig. Um die folgenden Überlegungen zu strukturieren, macht es Sinn, sie in konsumptive und produktive Erträge einzuteilen.

Konsumptive Erträge
Konsumptive Erträge aus einer Partnerschaft sind im wesentlichen Ersparnisse, die dadurch zustandekommen, daß zahlreiche Haushaltsgüter durch zwei Personen ebenso gut - in manchen Fällen sogar besser - genutzt werden können als durch eine Person. Diese Vorteile gemeinsamer Haushaltsführung sind so offensichtlich, daß es hier genügen soll, ein paar Beispiele zu nennen.
Ziehen zwei Personen zusammen, so sparen sie zunächst erheblich an Mietausgaben und Heizkosten ein. Sie benötigen i.d.R. anstelle von zwei nur noch eine Einheit wichtiger langlebiger Konsumgüter: Kühlschrank, Waschmaschine, Fernsehgerät, Hifi-Anlage, Staubsauger, Geschirrspüler usw. Sie zahlen geringere Steuern und Gebühren, wann immer die Wohneinheit und nicht die Zahl der Personen Bemessungsgrundlage ist.
Ihnen fallen hierzu sicherlich noch eine Reihe weiterer Beispiele ein. Beachten Sie aber auch, daß die Punkte, die bisher genannt wurden, sowohl für eine hetero- als auch für eine homosexuelle Lebensgemeinschaft gelten. Zudem bestehen diese Vorteile in aller Regel auch dann, wenn der Haushalt mehr als nur zwei Personen - gleich welchen Geschlechts -umfaßt, also z.B. eine studentische Wohngemeinschaft ist.
Andererseits existieren aber auch Konsumaktivitäten und Einsparmöglichkeiten, die auf den heterosexuellen, rechtlich legitimierten Zwei-Personen-Haushalt beschränkt sind. Hierzu zählen die Vergünstigungen staatlicherseits für Ehen und Familien. Denken sie etwa an das
Ehegattensplitting, das weder von polygamen noch - jedenfalls noch nicht - von homosexuellen Lebensgemeinschaften genutzt werden kann. Das Ehegattensplitting ist der "größte Brocken" beim Familienlastenausgleich, der i.d.R. die Eheschliessung monetär interessant macht. (Für eine schematische Übersicht und Angaben zum Umfang des Familienlastenausgleich vgl. Henke (1989). Es sind natürlich Fälle denkbar, in denen sich zwei Partner monetär besserstehen, wenn sie getrennt leben - weil z.B. beide Wohngeld erhalten. Zu Familienlastenausgleich und Familienpolitik vgl. z.B. Felderer 1988 und Bethusy-Huc 1987.) Dazu kommt, daß der Konsum sog. Kinderdienste nur durch diese Art der Lebensgemeinschaft realisiert werden kann, solange homosexuellen Paaren das Recht zur Adoption verwehrt bleibt. Da dies jedoch stärker den Bereich der Haushaltsproduktion berührt, dazu später mehr.
Schließlich lassen sich eine Reihe von Bedürfnisbefriedigungen - teilweise im wahrsten Sinne des Wortes - wenn auch nicht nur, so doch oft effizienter in einer festen Partnerschaft erfahren. Dazu zählen Zuneigung, Geborgenheit und Sicherheit und Sexualität.

Vorteile bei Produktionsprozessen
Für zahlreiche Menschen gilt, daß sie einen Nutzen aus eigenen Kindern erfahren. Kinder sind eine Art von Gütern und Dienstleistungen, deren Produktion, d.h. die eigentliche Herstellung wie die Aufzucht (hier ist vielleicht der Hinweis angebracht, daß dieser Sprachgebrauch unter Ökonomen durchaus üblich und frei von einer Wertung ist), in einer festen Partnerschaft nach allgemeiner Überzeugung wesentlich effizienter erfolgen kann als in einem Single-Haushalt. Theoretisch ist es jedoch durchaus denkbar - und es kommt ja auch vor, daß man Kinder kauft oder verkauft. Eine heterosexuelle Zweierbeziehung ist für die Erfüllung des Kinderwunsches also keine notwendige Voraussetzung. Trotzdem werden die meisten Menschen zustimmen, daß die Beschaffung und Aufzucht von Kindern in anderen Haushaltsformen äußerst schwierig sein dürfte und wohl nicht nur Probleme rechtlicher Art mit sich bringt.
Allein die Kosten von Kindern machen es einer alleinstehenden Person fast unmöglich, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen. Einer amerikanischen Studie zufolge kostet ein Kind von der Geburt bis zum 22. Lebensjahr eine Durchschnittsfamilie ein fünftel des in dieser Zeit anfallenden Familieneinkommens (vgl. Olson 1982, 2. Berechnungen von Kinderkosten sind ausgesprochen komplex; z. B. ist zu überlegen, ob Einkommensausfälle der Frau infolge Kinderbetreuungszeiten mit eingerechnet werden sollen oder eigene Einkommen der Kinder abgezogen werden sollen.) Und einer Repräsentativ-Befragung der Zeitschrift BRIGITTE zufolge, stimmen zwei von drei Müttern der Aussage zu, es sei heutzutage in Deutschland ein Luxus, sich Kinder zu leisten (Henning u.a. 1992, 139). Daß Kinder als Luxusgüter einzustufen sind, bestätigt auch eine Studie aus dem Statistischen Bundesamt. Nach elf bis fünfzehn Ehejahren waren 1986 36% der Ehen kinderlos, in denen der Ehemann weniger als 1800 DM im Monat verdiente. Ehen, in denen der Ehemann ein monatliches Einkommen von über 1800 DM hatte, waren nur noch zu 16% kinderlos. Auch die durchschnittliche Kinderzahl liegt um ein halbes Kind höher in dieser Gruppe (1,6 im Vergleich zu 1,1).
Die monatlichen Unterhaltsaufwendungen für ein Kind liegen derzeit je nach Einkommenslage und Schätzansatz um 600 DM pro Monat (Stat. Bundesamt 1990). Wenn man bedenkt, daß die monatlichen Kosten für einen VW-Golf 1.8 GL laut ADAC bei mittlerer Fahrleistung monatlich bei 566 DM liegen, kann man sagen, daß für viele Familien, Kinder die teuerste Anschaffung sind, die sie sich in ihrem Leben leisten. Nach Berechnungen von Galler (1988, 92) muß eine Frau mit Abitur, die nach drei Arbeitsjahren eine Kinderpause von drei Jahren einlegt, ihre Einkommenseinbußen über das gesamte Erwerbsleben, also während und nach der Unterbrechung, in der Größenordnung von 200 Tsd. DM veranschlagen.
Wir können also festhalten, daß eine effiziente Produktion von Kindern im allgemeinen nur in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft möglich ist. Für eigene Kinder gilt diese Aussage ohne Einschränkung. Und der Wunsch nach eigenen Kindern ist in der erwachsenen Bevölkerung weit verbreitet.
Wir kommen nun zu einem Punkt, der vielleicht einen weniger offensichtlichen, aber deswegen nicht einen weniger wichtigen Vorteil in der Produktion von Zwei- gegenüber Ein-Personen-Haushalten darstellt. Paare produzieren Haushaltsaktivitäten (Haushaltsaktivitäten sind z. B. Einkommenserwerb, Haushaltsarbeiten im engeren Sinne, aber auch Unterhaltung oder geselliges Beisammensein. Sie umfassen alles, was die Mitglieder des Haushaltes unternehmen. Manche der Haushaltsaktivitäten können leicht durch dritte Personen erledigt werden. Z. B. kann ein Koch oder eine Köchin eingestellt werden. Bei anderen Haushaltsaktivitäten wie z. B. der Kinderproduktion ist dies nicht möglich.) effizienter als Singles, da sich beide Partner auf die Aktivitäten spezialisieren können, die sie besonders gut beherrschen. Diese Aussage ist für die ökonomische Theorie der Ehe so zentral, daß es sich lohnt, sie anhand unseres Zahlenbeispiels zu verdeutlichen.
Wie jedes Zahlenbeispiel geht auch dieses von vereinfachenden Annahmen aus. Außerdem wählen wir die Zahlen nicht unbedingt in einer realistischen Größenordnung, sondern so, daß wir einfach damit rechnen können. Schließlich wollen wir noch annehmen, daß wir die Produktivität der Partner im Haushalt und auf dem Arbeitsmarkt in Geldeinheiten messen können.

Tab 2.: Produktivität der Haushaltsmitglieder

Haushalt Arbeitsmarkt
Mann 30 DM/h 60 DM/h
Frau 30 DM/h 30 DM/h


Wir gehen in unserem Beispiel davon aus, daß der Mann und die Frau im Haushalt gleich produktiv sind, der Mann jedoch am Arbeitsmarkt seine Arbeitskraft wesentlich teurer verkaufen kann (Die Produktivität im Haushalt läßt sich tatsächlich nur schwer abschätzen, allein schon deswegen, weil die einzelnen Haushaltsaktivitäten voneinander sehr verschieden sind. Wir können aber ziemlich sicher sein, daß die Produktivität der letzten im Haushalt eingesetzten Arbeitsstunde unter dem am Arbeitsmarkt erzielbaren Lohn liegt. Wäre das nicht so, dann wäre es rational, mehr Arbeitszeit auf dem Arbeitsmarkt anzubieten.). Der Grund dafür könnte sein, daß er eine bessere Ausbildung genossen hat, aber ebenso, daß Frauen am Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Doch darauf kommt es im Moment nicht an.
Nehmen wir nun an, beide leben als Singles und teilen, weil sie ähnliche Präferenzen haben, ihre Zeit im Verhältnis 2:1 zwischen Marktarbeit und Haushaltsarbeit auf. Dann produzieren sie je eingesetzter Arbeitsstunde folgenden Gegenwerte:

Tab. 3: Konsummöglichkeiten der Singles bei 2:1 Zeitaufteilung je Arbeitsstunde

Haushalt (M: 20 min) (F: 20 min) Arbeitsmarkt (M: 40 min) (F: 40 min) zusammen (60 min) (60 min)

Mann 10 DM 40 DM 50 DM
Frau 10 DM 20 DM 30 DM

zusammen 20 DM 60 DM 80 DM

Nehmen wir nun an, die beiden heiraten und planen, im gemeinsamen Haushalt den gleichen Arbeitseinsatz zu leisten wie bisher getrennt. Eigentlich wird sich das Verhältnis eher zuungunsten der Haushaltsarbeit verschieben, da z.B. anstelle von zwei jetzt nur noch eine Wohnung gereinigt werden muß. Aber von solchen Nebeneffekten wollen wir hier absehen.
Kurz nach der Hochzeit lassen wir jetzt den Mann Vollzeit arbeiten. Die Frau soll allein für die Hausarbeit verantwortlich sein und Teilzeit arbeiten. Dann ergibt sich folgendes Bild:

Tab. 4: Vorteile der Produktion in gemeinsamer Haushaltsführung

Haushalt (M: 0 min) (F: 40 min) Arbeitsmarkt (M: 60 min) (F: 20 min) zusammen (60 min) (60 min)
Mann 0 DM 60 DM 60 DM
Frau 20 DM 10 DM 30 DM
zusammen 20 DM 70 DM 90 DM

Es zeigt sich, daß die Spezialisierung, also die geschickte Aufgabenverteilung zwischen den Ehepartnern, zu einem um 10 DM gestiegenen Gesamteinkommen führt. Dies ist nun keine Eigenheit des Zahlenbeispiels, sondern in allgemeiner Form, aber anderem Zusammenhang, schon vor fast zweihundert Jahren von David Ricardo bewiesen worden: Sind ein Mann und eine Frau unterschiedlich produktiv, dann können sie ihre gemeinsame Produktion durch Heirat steigern, ohne daß sie deswegen mehr arbeiten müßten.
Ob die Zahlenwerte mit den realen Werten übereinstimmen oder nicht, ist für unsere weiteren Überlegungen absolut unwichtig. Es kommt lediglich darauf an, daß sich die Produktivitäten von Mann und Frau unterschiedlich auf Haushalt und Arbeitsmarkt verteilen. Alle Ergebnisse könnten wir auch dann ableiten, wenn wir den Stundenlohn des Mannes mit 63,25 DM annehmen würden. Dann würde nur die Berechnung etwas komplizierter. Übrigens könnten wir auch annehmen, daß der Mann im Haushalt der produktivere Partner ist, während die Frau am Arbeitsmarkt das höhere Einkommen erzielt. Auch dadurch wäre das Ergebnis, das wir abgeleitet haben, nicht gefährdet.
Unsere Schlußfolgerung setzt natürlich voraus, daß Hausarbeit und Marktarbeit in etwa gleich angenehm bzw. unangenehm sein müssen. Andernfalls müßten diese Unannehmlichkeiten, die die neue Aufgabenverteilung mit sich bringt, berücksichtigt werden. Aber auch dann würde sich am Ergebnis prinzipiell nichts ändern.
Eine Randbedingung muß allerdings erfüllt sein. Nehmen wir an, in unserem Beispiel habe der Mann überhaupt keinen Sinn fürs sog. "Häusliche" gehabt und sich schon als Single voll auf Marktarbeit spezialisiert. Die Frau hingegen habe sich schon als Single nur um den Haushalt gekümmert.

Aus dieser Ausgangssituation wäre kein Spezialisierungsgewinn
durch Heirat möglich gewesen.

Die Vorlieben, man könnte auch sagen Präferenzen oder Konsumwünsche, der potentiellen Partner waren zu unterschiedlich.
Insgesamt können wir also folgendes festhalten: Die Erträge, die zwei Singles durch gemeinsame Haushaltsführung realisieren können, sind unter sonst gleichen Umständen größer, je unterschiedlicher ihre produktiven Eigenschaften und je ähnlicher ihre Konsumwünsche ausgeprägt sind. Dies gibt uns auch einen Hinweis auf die Frage: "Wer heiratet wen?". Aber dazu später mehr.

3.2 Individuelle Nachteile

Warum gibt es denn überhaupt und immer mehr Singles, wenn die Vorteile gemeinsamer Haushaltsführung so zahlreich sind? Nun, wo Licht ist, ist auch Schatten. Den Vorteilen stehen Nachteile gegenüber. Diese individuellen Nachteile sind die Kosten einer Partnerschaft.
Wer eine feste Partnerschaft eingeht, verzichtet damit zunächst - jedenfalls in aller Regel -auf die Option fortgesetzter Partnersuche und so auf die Chance, einen geeigneteren Partner zu finden. Dazu kommt der Verlust an individueller Entscheidungsfreiheit. Dies ist wahrscheinlich der gewichtigste Kostenfaktor. Man kann nicht mehr uneingeschränkt tun und lassen, was man will: Ständig sind Kompromisse notwendig - bezüglich der Farbe des neuen Autos, des Fernsehprogramms, der Zimmertemperatur, der Häufigkeit von Verwandtenbesuchen, des Urlaubsziels ...
Die Kosten, die diese Kompromisse mit sich bringen, sind umso höher, je unterschiedlicher die Konsumwünsche der Partner ausfallen. Sind beide Partner Tennisfans, dann sind die Kompromißkosten von drei Stunden Sanchez gegen Graf am Sonntagabend auf RTL plus null. Ist aber nur er Tennisfan, dann kann ihn eine solche Übertragung auch schon mal einen Besuch bei den Schwiegereltern am Sonntagnachmittag kosten. Und dann läuft evtl. gerade Edberg gegen Becker. Ein hoher Verlust, besonders falls Becker gewinnt.
Auch die Verteilung des Ehegewinns kann zu Problemen führen. In unserem Zahlenbeispiel hatten wir für das Paar einen Spezialisierungsgewinn in Höhe von 10 DM je Arbeitsstunde (von Mann und Frau) ermittelt. Ungeklärt ist dabei geblieben, wie die Verteilung dieses Gewinns zwischen den Partnern erfolgen soll. So können Situationen entstehen, in denen sich ein Ehepartner ausgebeutet fühlt (im einzelnen zur Ausbeutung in einer Beziehung McKenzie/Tullock 1984, 99ff.). Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Posten, sind Risikokosten (vgl. ebd., 134). Risikokosten müssen nicht eintreten. Sie fallen vielmehr mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit an. So kann ein Ehepartner vor der Hochzeit etwa folgende Kalkulation aufstellen: Eine deutsche Durchschnittsehe wird heute mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 1:3 durch Scheidung beendet. Bis dahin dauern die Ehen im Schnitt 12 Jahre. Veranschlagen wir die individuellen Investitionen pro Jahr in diese Ehe -zugegebenermaßen eine kaum lösbare Aufgabe - mit 10.000 DM, so gehen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:3 120.000 DM Eheinvestitionen verloren (der Einfachheit halber verzichten wir auf eine Diskontierung). Mit derselben Wahrscheinlichkeit würden ein rationaler Bräutigam oder eine rationale Braut die durch die Scheidung selbst anfallenden Kosten sowie die Folgekosten gewichten. Werden diese Kosten übersehen - Liebe macht blind - kann die Ehe zu einer teuren Fehlinvestition werden. Folgekosten der Scheidung in Form einer Abfindung oder erhaltener Unterhaltszahlungen sind für den Gegenwert natürlich Erträge. So kann auch folgende Strategie durchaus rational sein: Millionär suchen, heiraten, scheiden, abkassieren. Zudem ist darauf hinzuweisen, daß man die Risiken durch einen Ehevertrag teilweise ausschalten kann.
Auch Affären und Seitensprünge sind mit Risikokosten belastet. Wie hoch diese Kosten sind, hängt zum einen von der diesbezüglichen Einstellung der jeweiligen Partner ab, zum
anderen von der bisherigen Dauer und dem Ertragspotential der bestehenden Beziehung. Im Extrem muß der untreue Partner Kosten in Höhe der Scheidungs- oder Trennungskosten kalkulieren. Auch diese Kosten sind natürlich mit der Wahrscheinlichkeit, daß und in welchem Umfang die Untreue aufgedeckt wird, zu gewichten (zu außerehelichen Affären ausführlicher Hartwig 1993, 29ff).

Mehr dazu dort