Dienstag, 22. Dezember 2009

Die Verstaatlichung der Kinder

Familienpolitik

Die Verstaatlichung der Kinder

Von Philip Plickert

Der Ökonom Lujo Brentano sagte voraus, dass mit zunehmendem Wohlstand der Zeugungswille abnehmen werde

Der Ökonom Lujo Brentano sagte voraus, dass mit zunehmendem Wohlstand der Zeugungswille abnehmen werde

13. Mai 2008 Deutschland ist ein armes Land - arm an Nachwuchs. Mit einer Geburtenrate von etwa 1,3 Kinder je Frau liegt Deutschland auf dem 180. Platz einer Rangliste von 191 Ländern der Welt. Das war das Ergebnis einer Studie vor vier Jahren, und seitdem ist die Geburtenrate nicht gestiegen - trotz aller neuen Sozialleistungen und staatlichen Angebote für Eltern. Einen dreistelligen Milliardenbetrag gibt der Staat jährlich für familienbezogene Leistungen aus. Je nachdem, welche Haushaltsposten man dazu zählt, kommt man auf 185 Milliarden Euro (so die Rechnung von Finanzminister Steinbrück), 240 Milliarden Euro (Studie des Instituts für Weltwirtschaft), 100 Milliarden Euro (Auskunft der Bundesregierung vor zwei Jahren). Und trotz dieser Förderung werden immer weniger Familien gegründet und etwa ein Drittel zu wenig Kinder geboren, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten.

Der im späten neunzehnten Jahrhundert beginnende Fall der Geburtenraten hat schon früh Ökonomen beschäftigt. Um 1900 bekamen Frauen in Deutschland durchschnittlich etwa fünf Kinder, doch war eine stark sinkende Tendenz erkennbar. Lujo Brentano, ein sozialreformerischer Ökonom, verwarf daher 1909 die malthusianische Theorie, wonach die Menschen - ihrem Geschlechtstrieb folgend - sich exponentiell vermehren. Brentano sagte voraus, dass mit zunehmendem Wohlstand der Zeugungswille abnehmen werde. Er sah, dass die Zahl der Ehen sank und mehr Frauen eine Arbeit außerhalb des Hauses aufnahmen. Zudem erkannte er eine zunehmende "Konkurrenz der Genüsse" für die Frau, die folglich weniger Kinder haben wolle.

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"Economics of the Family"

Damit war in Grundzügen schon beschrieben, dass die Entscheidung für oder gegen Kinder auch auf einem "Kosten-Nutzen-Kalkül" beruht. Vor gut fünfzig Jahren hat sich eine explizite Wissenschaft namens "Economics of the Family" etabliert, als deren Pionier vor allem Gary Becker Großes geleistet hat. Sie kann plausible Gründe für die sinkende Zahl von Kindern anführen: Die Kosten für den Unterhalt und die Erziehung eines Kindes sind enorm gestiegen - nicht nur die direkten Kosten wegen steigender Ansprüche und immer teurerer und längerer Schulausbildung, sondern auch die indirekten (Opportunitäts-)Kosten, also der Verdienstausfall für die Mutter. Wenn überhaupt, hat man also weniger Kinder, in deren "Humankapital" aber umso mehr investiert wird.

"Nutzen" stiften Kinder ihren Eltern heute überwiegend immateriell. Die Liebe zu Kindern ist für viele ein starkes Motiv. Es macht Freude und stolz, die eigenen Kinder aufwachsen und gedeihen zu sehen. Hingegen ist der ökonomische Nutzen von Kindern für ihre Eltern, der einst beträchtlich war, heute kaum noch auszumachen - weder helfen sie, wie früher üblich, bei der Feldarbeit oder in der Werkstatt, noch ist eine zahlreiche Nachkommenschaft für eine Versorgung im Alter notwendig.

Dies übernimmt heute in Deutschland das kollektive Rentensystem. Vor dessen Einführung durch Bismarck war klar, dass nur, wer Kinder hat, im Alter auskömmlich leben konnte. Heute geht es auch ohne. Durch die Umlagefinanzierung findet sogar ein starker Transfer von den Familien mit Kindern zu den Kinderlosen statt: Während die Kosten der Kindererziehung und der "Humankapitalbildung" trotz mancherlei staatlicher Zuschüsse überwiegend doch noch die Eltern tragen, werden die materiellen "Erträge" der Kinder kollektiv vereinnahmt und sozialisiert. Das staatliche Rententransfersystem hat damit einen erheblichen - negativen - Einfluss auf die demographische Entwicklung.

Der Staat übernimmt die Funktion der Familie

Mit unterschiedlicher ideologischer Absicht betreiben alle modernen Wohlfahrtsstaaten, ob sozialistisch oder bürgerlich, eine Verstaatlichung der Familien und der Kinder, analysiert der liberale Wirtschaftshistoriker Gerd Habermann. Den Sozialisten kam es darauf an, einen "neuen Menschen" zu schaffen, wie schon Plato in seiner Staatsutopie anregte. So sollte in Russland nach der Revolution eine kollektive Erziehung individuelle Interessen ("Privategoismus") und familiär bedingte Ungleichheit überwinden. Die innerfamiliäre Solidarität und Loyalität sollte auf den Staat übertragen werden. Die Versuche der Bolschewisten gleich nach 1917, die bürgerlicher Familie vollkommen aufzulösen, scheiterten.

Doch blieb das Bestreben, auch in der DDR, die Funktionen der Familie weitgehend dem Staat zu übertragen. Mütter sollten nicht mit ihren Kindern oder im Haushalt, sondern im volkseigenen Betrieb beschäftigt sein. Auch im Westen haben sich einige Wohlfahrtsstaaten, etwa Schweden, einer derart kollektivierenden Familienpolitik angenähert. Flächendeckende staatliche Kinderbetreuung von frühestem Alter an ermöglicht es jeder Frau, kurz nach der Geburt wieder einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Dies ist auch das Leitbild der neuen deutschen Familienpolitik, die vor allem auf das Potential der akademisch gebildeten Frauen zielt, von denen derzeit rund ein Drittel kinderlos bleiben. Der Staat, so die Botschaft, ermöglicht Kind und Karriere.

Allerdings hat der umfassende Sozialstaat, der im zwanzigsten Jahrhundert aufgebaut wurde, eine Absicherung gegen alle Wechselfälle des Lebens versprochen - und dabei die familiären Netzwerke der Solidarität geschwächt, wie Habermann kritisiert. Die Familien sind zudem "bei einer Sozialabgabenlast von inzwischen über 40 Prozent zur Eigenvorsorge kaum noch in der Lage - sie sind mit ihren eigenen Mitteln von staatlichen Versorgungseinrichtungen abhängig gemacht worden". Mit Blick auf die sinkende Geburtenrate schreibt er: "In allen westlichen Wohlfahrtsstaaten wird die Reproduktion der Gesellschaft zu einem ernsten Problem, während dort, wo staatliche Familienpolitik nur ansatzweise oder gar nicht existiert, namentlich in den Vereinigten Staaten, und wo überdies auch noch starke religiöse Ideale die Familienbildung fördern, diese Entwicklung nicht oder nicht in diesem Maße eingetreten ist."

Die beste Familienpolitik, so könnte man kurz sagen, wäre der Verzicht auf staatliche Familienpolitik. Im Gegenzug könnten die Steuern und Abgaben drastisch sinken - was hätten die Familien dann mehr Geld zur Verfügung.

Lujo Brentano: Die Malthussche Lehre und die Bevölkerungsbewegung der letzten Dezennien, in: Abhandlungen der historischen Klasse der Königlichen Bayerischen Akademie der Wissenschaft, München 1909

Gary S. Becker: An Economic Analysis of Fertility, in: Demographic and Economic Change in Devel-oped Countries. Princeton University Press 1960

Gerd Habermann: Drei Typen von Familienpolitik, in: ORDO - Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Stuttgart 2007



Text: F.A.S.
Bildmaterial: ZB

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